Neu: Betreuungsurlaub für ein wegen Krankheit oder Unfall schwer beeinträchtigtes Kind

Seit dem 1. Juli 2021 haben Arbeitnehmer u.U. Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von bis zu 14 Wochen für ihr Kind, wenn es wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist. Dieser Anspruch gilt nur, wenn auch ein Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung nach EOG besteht.

Der neue Gesetzesartikel im Obligationenrecht (OR) unter dem Titel «Urlaub für die Betreuung eines wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes» lautet wie folgt: «1 Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung nach den Artikeln 16n–16s EOG, weil ihr oder sein Kind wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist, so hat sie oder er Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens 14 Wochen. 2 Der Betreuungsurlaub ist innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten zu beziehen. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld bezogen wird. 3 Sind beide Eltern Arbeitnehmende, so hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens sieben Wochen. Sie können eine abweichende Aufteilung des Urlaubs wählen. 4 Der Urlaub kann am Stück oder tageweise bezogen werden. 5 Der Arbeitgeber ist über die Modalitäten des Urlaubsbezugs sowie über Änderungen unverzüglich zu informieren» (Art. 329i OR).

Gleichzeitig wurde das Gesetz über den Erwerbsersatz (EOG) durch die Art. 16n bis 16s EOG ergänzt. Darin wird der Anspruch auf eine Entschädigung für Eltern, die ein wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigtes Kind betreuen, geregelt.

Minderjähriges Kind

Vorausgesetzt ist ein Eltern-Kind-Verhältnis. Dieses entsteht zwischen dem Kind und der Mutter mit der Geburt (Art. 252 Abs. 1 ZGB) oder durch Adoption (Art. 252 Abs. 3 ZGB). Zwischen dem Kind und dem Vater wird es kraft der Ehe mit der Mutter oder durch Anerkennung begründet oder durch das Gericht festgestellt (Art. 252 Abs. 2 ZGB) oder es entsteht durch Adoption (Art. 252 Abs. 3 ZGB).

Ausserdem muss das Kind minderjährig sein. Wenn das Kind volljährig ist, besteht allenfalls ein Anspruch auf bezahlten Urlaub nach Art. 329h OR. Ich verweise auf den entsprechenden Blogbeitrag.

Schwere gesundheitliche Beeinträchtigung

Das Kind muss gesundheitlich schwer beeinträchtigt sein. Das ist es dann, «wenn:

  1. eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychischen Zustandes eingetreten ist;
  2. der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist;
  3. ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht; und
  4. mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen muss» (Art. 16o EOG).

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ, d.h. alle, gegeben sein. Sie können z.B. auch bei einem komplizierten Beinbruch gegeben sein. Wenn jedoch ein Elternteil nicht erwerbstätig ist und dieser die Betreuung des Kindes übernehmen kann, fehlt es eben an der letzten der vier vorerwähnten Voraussetzungen. Im letzteren Fall besteht kein Anspruch auf Entschädigung nach EOG und somit auch kein Anspruch auf Urlaub nach OR.

Erwerbstätigkeit

Als Erwerbstätigkeit gilt ein Angestelltenverhältnis aber auch eine selbständige Erwerbstätigkeit. Dies gilt auch für Ehepartner die im Betrieb des anderen Ehepartners mitarbeiten und einen Barlohn beziehen.

Notwendigkeit der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zwecks Betreuung

Wie bereits hiervor beispielhaft ausgeführt, bedarf es einer Notwendigkeit diese Erwerbstätigkeit zu unterbrechen. Der Anspruch auf Entschädigung und damit auf Urlaub besteht nur, wenn die Unterbrechung zur Betreuung notwendig ist. Die Notwendigkeit hängt massgebend von der Situation der betreuungsbedürftigen Person ab.

Taggeldanspruch

Schliesslich setzt der Anspruch auf Urlaub voraus, dass der Elternteil Anspruch auf Taggeld nach Art. 16n ff. EOG hat (Art. 329i Abs. 1 OR). Dies sollte mit den vorgenannten Voraussetzungen abgedeckt sein.

Umfang des Urlaubs

Das Gesetz spricht von einem maximalen Zeitraum von 14 Wochen. Dies gilt pro Kind sowie pro gesundheitliche Beeinträchtigung. Es ist also nicht pro Jahr begrenzt. Das heisst, wenn ein anderes Kind im selben Jahr eine oder das gleiche Kind eine neue gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet, entsteht ein neuer Anspruch auf Urlaub (sowie auf Entschädigung nach EOG).

Auch wenn beide Elternteile den Anspruch auf Urlaub erfüllen, gibt es nicht für jeden Elternteil einen Urlaub von 14 Wochen, sondern nur einen gesamthaften Anspruch von 14 Wochen für beide Eltern zusammen. Es erfolgt grundsätzlich eine Aufteilung, diese muss aber nicht zwingend hälftig sein, die Eltern können eine andere Aufteilung wählen. (Art. 16q Abs. 4 EOG).

Der Anspruch endet vorzeitig, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, nicht jedoch wenn das Kind während der Rahmenfirst volljährig wird (Art. 16p Abs. EOG).

Bezug des Urlaubs

Der Urlaub muss nicht unmittelbar und am Stück bezogen werden. Vielmehr muss er innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten ab dem ersten Taggeldbezug bezogen werden. Der Urlaub kann aufgeteilt und wochen-, tage- oder sogar halbtageweise bezogen werden.

Anspruch auf Entschädigung

Die Betreuungsentschädigung wird als Taggeld ausgerichtet. Es besteht Anspruch auf höchstens 98 Taggelder innerhalb der Rahmenfrist. Pro fünf Taggelder werden zusätzlich zwei Taggelder ausgerichtet.

Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, so hat jeder Elternteil Anspruch auf höchstens die Hälfte der Taggelder, wobei die Eltern eine abweichende Aufteilung wählen können.

Höhe der Entschädigung

Das Taggeld beträgt 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs auf die Betreuungsentschädigung erzielt wurde, höchstens jedoch CHF 196.00 pro Tag (Stand 1. Juli 2021).

Weitere Auswirkungen des Bezugs von Betreuungsurlaub auf das Arbeitsverhältnis

  • Keine Kürzung des Ferienanspruchs: Eine Kürzung des Ferienanspruchs des Arbeitnehmers, der einen Betreuungsurlaub bezieht, ist unzulässig (Art. 329b Abs. 3 lit. d OR).
  • Missbräuchliche Kündigung: Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen, solang der Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht, längstens aber während sechs Monaten ab dem Tag, an dem die Rahmenfrist zu laufen beginnt (Art. 336c Abs. 1 lit. cter OR).

Luzern, 28. Juni 2021

Simeon Beeler

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